Karl Nolle, MdL
Rechtsanwalt Michael Sturm, Dresden, 20.04.2001
Strafanzeige gegen Ministerpräsidenten Prof. Dr. Kurt Biedenkopf
Zur Überprüfung eines Anfangsverdachts, insbesondere der Steuerhinterziehung, der Beihilfe hierzu und aller weiteren in Betracht kommenden Delikte.
Michael Sturm
Rechtsanwalt
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An die
Staatsanwaltschaft Dresden
z.Hd. Herrn LOStA Dr.Drecoll
Gutenbergstraße 5
01307 Dresden
vorab per Fax 0351 4462070
Dresden, den 20.04.2001
Strafanzeige gegen
1. Herrn Ministerpräsidenten Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Schevenstraße 1,
01326 Dresden
2. unbekannt
Nachfolgenden Sachverhalt unterbreite ich mit der Bitte um Überprüfung eines Anfangsverdachts, insbesondere der Steuerhinterziehung, der Beihilfe hierzu und aller weiteren in Betracht kommenden Delikte.
I.
Mir ist, im Wesentlichen aus der Presse, folgender Sachstand bekannt:
Bis zum 30. Juni 1997 soll dem Ministerpräsidenten eine Dienstwohnung zugewiesen gewesen sein, was gemäß § 8 Abs. 4 SächsMinG an Stelle des dem Ministerpräsidenten zustehenden Ortszuschlages erfolgen konnte. Der Ortszuschlag ergab sich aus Anlage V zum Bundesbesoldungsgesetz. Ab 1993 betrug er beispielsweise 1.236,09 DM, in der ab 1996 geltenden Fassung 1.301,18 DM (Beträge ohne Kürzung für das Beitrittsgebiet). Der darüber hinaus gehende Wohnwert war gemäß § 10 BBesG (anwendbar gemäß § 28 Abs. 4 SächsMinG in der bis 31.05.2000 geltenden Fassung, danach aufgrund der Bezugnahme auf die Höhe der Besoldung in § 8 Abs. 2 SächsMinG) ebenfalls als Sachbezug zu bewerten und bei der Auszahlung der Besoldung zu berücksichtigen. Da ab 1.1.1997 ein Nutzungsentgelt von 1.857,03 DM monatlich gezahlt wurde, ging offenbar auch die Staatsregierung von einem Wohnwert aus, der die Höhe des Ortszuschlages überstieg. Steuerrechtlich liegt meines Erachtens insgesamt, also in Höhe des durch die Wohnungszuweisung ersetzten Ortszuschlages wie auch durch den darüber hinausgehenden Wohnwert (Größe der Wohnung: ca. 150 qm, angemessene Kaltmiete mindestens 15 DM/qm, vgl. Sächsische Zeitung v. 4.4.2001) grundsätzlich ein Sachbezug gemäß § 8 Abs. 2 EStG vor, so dass von steuerpflichtigem Einkommen auszugehen ist.
Ob eine ordnungsgemäße Versteuerung erfolgte, entzieht sich meiner Kenntnis.
Bei der Bewertung der Sachbezüge ist aber zusätzlich zu berücksichtigen, dass Herr Ministerpräsident nach den Ausführungen von Herrn Staatsminister Brüggen vor dem Sächsischen Landtag am 6. April 2001 aufgrund der Nutzungsvereinbarung das genannte Nutzungsentgelt (1.857,03 DM monatlich) nicht nur als Warmmiete im Sinne der üblichen mietrechtlichen Bezeichnung zu entrichten hatte, sondern damit auch die Dienstleistungen von Beschäftigten abgegolten waren, die als Bedienstete des Freistaates für Küche, Garten, Haushalts- und Hausmeisterdienste tätig sind. Ich gehe davon aus, dass dies auch bis zum 30. Juni 1997 der Fall war. Auch hinsichtlich dieser Sachbezüge weiß ich nicht, ob eine steuerliche Bewertung und Versteuerung erfolgte.
II.
Der Anfangsverdacht, Herr Ministerpräsident könnte den aus der Wohnnutzung und den damit verbundenen weiteren Vorteilen erwachsenen geldwerten Vorteil nicht ordnungsgemäß versteuert haben, ergibt sich meines Erachtens aus der Antwort von Herrn Staatsminister Georg Brüggen vom 26. März 2001 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Karl Nolle, Landtags-Drucksache 3/3664. Auf die Frage Nr. 3, ob ein geldwerter Vorteil ordnungsgemäß versteuert wurde, antwortete der Staatsminister nicht mit "ja". Er gab vielmehr keine Antwort. Er verwies nämlich lediglich auf die Antwort auf Frage 1 und 2. Frage 2 betraf die Höhe des geldwerten Vorteils, für die der Staatsminister auf die Antwort zu Frage 1 verwies. Aus der Antwort zu Frage 1 wiederum geht hervor, dass seit dem 1. Juli 1997 ein Nutzungsentgelt in Höhe von 1.857,03 DM monatlich gezahlt wird. Es fällt mir schwer, dieses Nutzungsentgelt für angemessen zu halten, was sich aus der Wohnfläche, der ortsüblichen Miete in den fraglichen Zeiträumen und den umfangreichen Dienstleistungen des Gästehauses Schevenstraße 1 ergibt, die Herr Ministerpräsident zusätzlich nutzen konnte. Bei vorsichtiger Zugrundelegung von einer Kaltmiete von 15 DM/qm, Nebenkosten in Höhe von 3 DM/qm und Kosten für nur einen Beschäftigten in Höhe von 3.000 DM einschließlich aller Abgaben errechnet sich ein geldwerter Vorteil in Höhe von 3.842,97 DM (5.700 DM abzüglich 1857,03 DM). Die fehlende Beantwortung von Frage 3, weder "ja" noch "nein" noch ggf. Ausführungen dazu, was die Staatsregierung unter ordnungsgemäßer Versteuerung versteht, begründet aus meiner Sicht den Verdacht, dass eine ordnungsgemäße Versteuerung unterblieben sein kann.
Gegen Unbekannt richtet sich die Strafanzeige insofern, als durch die zuständigen Beamten entsprechende Steuerabführungen oder Kontrollmitteilungen unterlassen worden sein könnten. Wäre auch in diesem Bereich ordnungsgemäß gehandelt worden, so hätte Herr Staatsminister Brüggen die Frage Nr. 3 mit "Ja" beantworten können.
Aus der Mitteilung von Herrn Staatsminister Brüggen, Herr Ministerpräsident habe 64.000 DM nachversteuert (vgl. Chemnitzer Freie Presse v. 5.4.2001), kann ich keine Umstände entnehmen, die den Verdacht einer Steuerhinterziehung ausschließen. Zum einen hätte Herr Staatsminister Brüggen dann, wenn er eine ordnungsgemäße Versteuerung annahm, die kleine Anfrage im maßgeblichen Punkt mit "ja" beantwortet. Zum anderen ist der nachversteuerte Betrag nicht nachvollziehbar. Es ergibt sich ein Betrag von 820,51 DM monatlich, der nachversteuert wurde (78 Monate). Die Übereinstimmung dieses Betrages mit den nach den derzeitigen Erkenntnissen gewährten Sachbezügen ist nicht erkennbar. Der dem Ministerpräsidenten zufließende Wohnvorteil ist höher; erst recht, wenn man den Wert der weiteren Dienstleistungen berücksichtigt.
III.
Zur subjektiven Seite des Vorwurfs kann derzeit lediglich festgehalten werden, dass vorsätzliches Handeln der Beteiligten möglich ist, also auch insoweit ein Anfangsverdacht besteht.
Zum einen ergibt sich aus der Stellung der beteiligten Personen Grund zu der Annahme, dass ihnen die ökonomischen Zusammenhänge der Nutzung von Dienstwohnung und Personal nicht verborgen geblieben sind. Zum anderen spricht die politische Rechtfertigung der von Herrn Ministerpräsidenten gezogenen Vorteile für ein bewusstes Handeln der Verantwortlichen.
IV.
Ich bitte darum, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 386 Abs. 4 S. 2 Abgabenordnung an sich zieht und die Ermittlungen nicht den Finanzbehörden überlässt. Zum einen könnte die Strafanzeige auch zu Ermittlungen gegen Angehörige der Finanzbehörden führen; zum anderen dürften für die hier maßgeblichen Fragen Zuständigkeiten des Chefs der Staatskanzlei bestehen. Diese Funktion wurde bis vor kurzem vom jetzigen Staatsminister der Finanzen wahrgenommen. Eine Ermittlung durch die Finanzbehörden würde daher von vornherein die Gefahr bergen, dass die Objektivität in Zweifel gezogen werden könnte.
V.
Auf Benachrichtigung über den Ausgang eines Ermittlungsverfahrens wird nicht verzichtet.
Michael Sturm
Rechtsanwalt
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