Karl Nolle, MdL

MdL Klaus Bartl im Plenum des Sächsischen Landtages, 14.05.2009

„Keine Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz durch die Staatsregierung“

Redebeitrag zur 2. Aktuellen Debatte, Antrag der Linksfraktion zum Thema:
 
Es gilt das gesprochene Wort!


Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

um von vornherein eines klarzustellen: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat und auch der Freistaat Sachsen nimmt die nach seinen gleich in Art. 1 der Sächsischen Verfassung geregelten Verfassungs- und Staatsgrundsätze in Anspruch.

Es ist ein hoher Wert, dass zu den dann weiter in Art. 3 der Sächsischen Verfassung geregelten Grundsätzen das Prinzip der strikten Gewaltenteilung, der 3 voneinander getrennten Staatsgewalten, nämlich der gesetzgebenden, der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt gehört.

Gerade für dieses Land, für diesen Freistaat Sachsen und die anderen 5 neuen Bundesländer ist dies keine Selbstverständlichkeit und es ist gut und wichtig, dass dieses Prinzip der Gewaltenteilung zu jenen Verfassungsgrundsätzen gehört, die auch bei Verfassungsänderungen nicht zur Disposition stehen.

Mögen andere anderenorts darüber nachdenken, wie man durch eine Änderung des Grundgesetzes künftig den Einsatz der Bundeswehr im Innern, den Einsatz der Polizei außerhalb der Landesgrenzen in faktischen kriegerischen Auseinandersetzungen gestatten darf, etwa gar noch mit der nachgerade absurden Begründung, dass diese Trennungsgrundsätze überholt seien, weil sie angeblich aus der Zeit der Systemauseinandersetzung ins Grundgesetz geraten seien.

Worüber wir hier mit dem heutigen Thema reden, ist etwas so Prinzipielles, dass es zur selbstverständlichen Verantwortung aller, die in diesem Land in Legislative, Exekutive oder Justiz Verantwortung tragen, gehört, auch nur den bösen Anschein der missbräuchlichen Einflussnahme einer Gewalt auf die andere bzw. die Aufgabe der Rechtsbindung der Gewalten zu vermeiden.

Wer nun aber nicht ganz ignorant durch die Welt geht, kann nicht bestreiten, dass der Freistaat Sachsen immer öfter und zunehmend peinlich in der Reflektion verschiedener Vorfälle bundesweit in das Rufbild gerät, dass die Exekutive hin und wieder in Gutsherrenart ihre Überzeugungen von dem, was Recht und rechtens ist, durchzudrücken versucht.

Wer in diesen Tagen den Internetauftritt, sprich die Webseite www.karl-nolle.de aufsucht, findet dort ein Statement, dass dieses Mitglied des Ho-hen Hauses im Zusammenhang mit einer Pressekonferenz am 27.04.2009 aus Anlass eines gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfah-rens veröffentlich hat. Im Rahmen dieses Statements erklärt einer der Anwälte des betroffenen Abgeordneten, mit Sicherheit im Wissen um seine Verantwortung als Organ der Rechtspflege und seiner standes-rechtlichen Pflichten wörtlich:

„Es ist keine ungewöhnlicher Vorgang, dass gegen einen Abgeordneten ermittelt wird ....
Ungewöhnlich - und nebenbei in eklatanter Weise rechtswidrig - ist der Umgang mit dieser Angelegenheit ....

1.
Klar ist, dass die Strafanzeige von der landläufig als ‚Steuerfahndung‘ bekannten Stelle in Freital ausging. Art und Inhalt der Vorwürfe freilich schließen zu meiner Überzeugung aus, dass die dortige Behörde ausschließlich aus Eigeninitiative tätig geworden ist. Es handelt sich um einen vagen An-fangsverdacht. Die Vorgänge liegen lange zurück. Der Vorwurf ist - selbst wenn er zuträfe - marginal, selbst, wenn man ihn ins Verhältnis zum Umfang der getätigten Investition setzt; ein Schaden wird ohnedies nicht behauptet: Normalerweise nichts, womit Steuerbehörden und Staatsanwaltschaften ihre wertvolle Zeit vergeuden.
Auf der anderen Seite stehen die Person des Herrn Nolle sowie der Zeitpunkt kurz vor Beginn des Landtagswahlkampfs und der Veröffentlichung seines Buches zur Nomenklaturvergangenheit führender CDU-Politiker, die Schlimmes befürchten lassen. Diese Befürchtung wurde durch den weiteren Gang der Dinge nicht widerlegt, im Gegenteil

2.
Medienberichten zufolge war die Staatsregierung von den geplanten Ermittlungen seit Monaten informiert. Endlich habe man den Nolle. Bereits um Ostern wurde nach diesen Presseinformation wenigstens einem Journalisten von einem hochrangigen Regierungsvertreter ein entsprechendes Material angeboten. Der Journalist lehnte ab. Vermutlich gab es das Angebot an weitere Journalisten. Sie taten es dem ersten gleich. Ob diese Medienbericht wahr sind, wissen Sie besser als ich, die Berichte fügen sich freilich nahtlos in das Gesamtbild dieser Angelegenheit ein.“

Ich beende hier die Zitate aus dem Statement des Herrn Rechtsanwalt Stefan Strewe, Fachanwalt für IT-Recht und Verfahrensbevollmächtigter von Karl Nolle, stelle aber mit Nachdruck die Frage an die Staatsregierung, ob dieser Vorwurf, dass Sie, respektive ein hochrangiger Regierungsvertreter, von vermeintlichen Erkenntnissen der Steuerfahndung im Fall Nolle ins Bild gesetzt waren und diese Infor-mation quasi dosiert weitergeben wollten, stimmt?

Ich frage weiter: Nach seinen bzw. den Erklärungen seiner Anwälte hat Karl Nolle am Dienstag, dem 21.04.2009 gegen 22:54 Uhr durch eine SMS des Redakteurs der „Freien Presse“ Hubert Kemper, die auf sei-nem Handy einging, davon erfahren, dass die „Freie Presse“ am darauffolgendem Tag den Umstand öffentlich machen werde, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Subventionsbetruges einleiten will und hierzu die entsprechenden immunitätsrechtlichen Unterrichtungen vornehme. Ohne Chance, hierauf noch zu reagieren, las der Abgeordnete Nolle am nächsten Morgen die knappe Pressemeldung. Zu diesem Zeitpunkt lagen nach seinen Erklä-rungen bzw. wiederum der seiner Rechtsanwälte weder ihm noch dem Präsidenten des Sächsischen Landtages die nach Ziff. 3 der Generellen Genehmigung des Sächsischen Landtages zur Strafverfolgung gegenüber Abgeordneten gem. § 76 Abs. 2 GO vom 10.03.2005 geforderten vorherigen Unterrichtungen in rechtswirksamer Form vor.

Die Anfrage des Abgeordneten über seinen Mitarbeiter beim Präsidialbü-ro des Präsidenten des Sächsischen Landtages am Morgen des 22.04.2009, also am Tage des Erscheinens des Beitrages in der „Freien Presse“ ergibt zunächst die Auskunft, dass überhaupt kein Schreiben der Staatsanwaltschaft vorliege. Dies wird später wohl dahingehend korrigiert, dass das bei dem Präsidialbüro zu diesem Zeitpunkt bereits eingegangene Schreiben nicht durch den entsprechenden Aussteller respektive die die immunitätsrechtlich hochbedeutsame Mitteilung über die beabsichtigte Einleitung des Ermittlungsverfahrens verfassenden Leitenden Oberstaatsanwaltes der Staatsanwaltschaft Dresden unterzeichnet gewesen sei. Auch dem Abgeordneten selbst geht zunächst ein Schreiben im Sinne der Unterrichtung nach § 3 der Generellen Genehmigung zu, das nicht durch den vermeintlichen Verfasser, den Leitenden Oberstaatsanwalt von der Staatsanwaltschaft Dresden unterzeichnet ist, mithin keine Rechtswirksamkeit entfalten kann.

Hier frage ich wiederum mit Nachdruck mit der dringenden Erwartung eine wahrheitsgemäßen Auskunft seitens der zuständigen Vertreter der Staatsregierung heute gegenüber diesem Plenum: Sind diese Schreiben, also die Mitteilung an den Präsidenten nach Ziff. 3 Satz 1 und an den Abgeordneten nach Ziff. 3 Satz 2 der Generellen Genehmigung vorher durch das Staatsministerium der Justiz gegangen, wurden diese Mitteilungen vorher dort zur Kenntnis genommen, bewertet, ge-nehmigt, erörtert oder was auch immer?

Beruhte die vorgreifende Unterrichtung des Staatsministeriums der Jus-tiz, wenn sie denn erfolgt ist, etwa auf den im Abschnitt III der Verwal-tungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz über die Organisation und den Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaft vom 12. Januar 1998, die sogenannte OrgStA, welche zunächst zu Ziff. 9 Abs. 1 bestimmt, dass der Generalstaatsanwalt - Zitat -:

„möglichst frühzeitig über alle wichtigen Vorkommnisse, bedeutende Verfahren und über solche Angelegenheiten“

zu unterrichten ist, welche

„Anlass zu besonderen Weisungen geben können oder deren Kenntnis für ihm im Rahmen seiner Dienst- und Fachaufsicht von Bedeutung ist“?

Wurde dann etwa gestützt auf Abs. 4 dieser Ziff. 9, der da lautet:

„Der Generalstaatsanwalt berichtet dem Staatsministerium der Justiz, wenn er einer Strafsache besondere Bedeutung bei-misst, besondere Bedeutung hat eine Strafsache insbesondere dann, wenn sie öffentliches Interesse erregt oder voraussichtlich erregen wird oder von herausgehobener, rechtli-cher oder tatsächlicher Komplexität ist.“ ?

Wir gehen noch weiter: Wir wollen heute von Ihnen, sehr geehrter Herr Staatsminister der Justiz, meinethalben auch vom Ministerpräsidenten persönlich wissen, ob die Staatsregierung auch in anderen gegen Abgeordnete dieses Hohen Hauses in Vorbereitung befindliche Ermittlungsverfahren unterrichtet worden ist, auf welchem Be-richtspflichtwege oder Informationskanal auch immer, bevor der Prä-sident des Sächsischen Landtages und der betroffene Abgeordnete hiervon Kenntnis erlangte.

Ich frage dies mit Bezug auf die Untersuchungen etwa im Falle des Mit-glieds des Hohen Hauses MdL Kerstin Nikolaus, in deren Fall auch die gesamte Öffentlichkeit den Verfahrensstand oder Verfahrensgang jedenfalls wesentlich vor den Mitgliedern des Geschäftsordnungs- und Immunitätsausschusses des Sächsischen Landtages nachvollziehen konnte. Da aber in diesen Verfahren nun aber nicht irgendwelche Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft ermittlungsleitend tätig werden können, sondern nur die Staatsanwaltschaft selbst, steht natürlich zur Debatte, ob jene recht haben, z. B. auch die Anwälte von Karl Nolle, die behaupten, dass der Zeitpunkt des Bekanntwerdens und die Person des von der Indiskretion Betroffenen kein Zufall sind.

Für den Fall, dass Sie eine meiner Fragen bejahen müssen, dürfte kaum im Streit stehen, dass diese Art von verkappter „Verfahrensherrschaft der Exekutive auf Spitzenebene gegenüber der als Bestandteil der Rechtspflege ermittelnden Staatsanwaltschaft“ mitnichten mehr zur Gewaltenteilung, zur Unabhängigkeit der Gewalten und zur Rechtsbindung der Gewalten passt. Auf den Nenner gebracht steht dann hier ja sogar die Frage, dass durch gezielte Weitergabe von Erkenntnissen, die in förmlichen behördlichen Vor- und Ermittlungsverfahren über Abgeordnete gewonnen werden, in die Willensentscheidung von Wählern im unmittelbaren Vorfeld von Kommunal- und Landtagswahlen beeinflusst wird.

Ich erinnere mich da fatal an den Umstand, dass die öffentliche Be-kanntgabe der außerordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses mit dem damaligen Vorsitzenden der Fraktion der PDS im Sächsischen Landtag und Spitzenkandidaten seiner Partei für den 4. Sächsischen Landtag, Prof. Dr. Peter Porsch, als seinerzeit Professor alten Rechts an der Universität Leipzig just an dem Tage erfolgte, da Peter Porsch den Wahlkampf seiner Partei in Leipzig eröffnen sollte. Verkündende und mithin Botschaftsverursacher war seinerzeit der damalige Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Dr. Matthias Rößler (CDU).

Mag sein, dass Sie ein erster Redebeitrag von der Zielrichtung und dem Ausgangspunkt überrascht. Ich meine aber schon, dass all die anderen Botschaften der letzten Tage, von der Klodeckelaffäre des Sächischen Staatsministers der Justiz über den Flaggenstreit bis hin vom Magazin „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe vom 04.05. behaupteten Missbrauch des Justizapparates für private Zwecke durch die Justizstaatssekretärin Frau Hauser nahezu Bagatelledelikte, oder, wie es Gunnar Saft in der SZ vom 08.05.2009 in seinem Beitrag unter der Überschrift: „Ein Justiz-minister testet die Gesetze“ ausdrückt: eine Posse“.

Das Problem halt nur: Stück für Stück, Nachricht für Nachricht demon-tieren derartige Gehabe, derartige Machtallüren das Ansehen des Rechtsstaates und das Vertrauen der Landeskinder darin, dass vor Recht und vor Gesetz ein jeder gleich ist und zuallererst die dafür sor-gen, die von Amts wegen dazu berufen sind und darauf einen Eid geleistet haben.

Meine Damen und Herren der Staatsregierung oder die Herrschaften der CDU-Fraktion auf den Rängen: Wer derartige Organisationsstatute, sprich ein derartiges institutionalisiertes Berichtswesen zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Staatsministerium der Justiz mit direktem Bezug auf konkret laufende Verfahren qua Verwaltungsvorschrift verankert, bringt sich selbst in den Verdacht und provoziert die entsprechenden Nachfragen.

Ich frage auch, haben, wenn der Generalstaatsanwalt nicht nach Ziff. 9 Abs. 4 von sich aus über die beabsichtigten Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete informiert hat, etwa der Justizminister oder von ihm beauf-tragte verantwortliche Mitarbeiter des Staatsministeriums der Justiz von der in Ziff. 9 Abs. 5 beinhalteten Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Generalstaatsanwalt aufzufordern, über derartige Verfahren zu berich-ten.